Für die deutschlandweite Kampagne „Urologie für alle“ konnten wir Marlene Keller für ein Interview gewinnen. Sie ist als Referentin für weibliche Genitalverstümmelung bei TERRE DES FEMMES und beantwortet uns Fragen zum Thema Weibliche Genitalverstümmelung. Herzlichen Dank an dieser Stelle!
Wir wollten wissen, was hinter der Praxis steckt, und wie verbreitet sie ist. Außerdem interessierte uns, welche Rolle das Thema in Deutschland spielt und was man als Betroffene tun kann.
Hier lesen Sie das komplette Interview. Eine kurze Fassung finden Sie hier.
Frage 1: Wie kamen Sie zu TERRE DES FEMMES und zum Referat Weibliche Genitalverstümmelung?
Nach meinem ersten Staatsexamen ging ich nach Ghana in Westafrika. Dort begann ich für eine NGO zu arbeiten, die sich mit sexuellen und reproduktiven Rechten sowie mit Gewalterfahrungen von Frauen aus sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen befasst. In den viereinhalb Jahren meiner Tätigkeit führte ich verschiedene Projekte durch und begegnete dabei wiederholt nicht nur der Thematik der weiblichen Genitalverstümmelung, sondern auch anderen schädlichen Praktiken wie der in Ghana teilweise noch stattfindenden Hexenverfolgung.
Ich entschied mich daraufhin für ein berufsbegleitendes Masterstudium im Fernstudium, um mich auf den internationalen Menschenrechtsschutz zu spezialisieren. Aufgrund der Corona-Pandemie konzentrierte ich mich auf Frauenrechte und verfasste meine Abschlussarbeit über die rechtliche Bewertung der Hexenverfolgung. Da es zu diesem Thema noch nicht viele rechtliche Regelungen gibt, griff ich auf Vergleiche mit anderen Praktiken zurück, wie beispielsweise der weiblichen Genitalverstümmelung, die international und national relativ umfassend geregelt ist.
Diese Erfahrungen veranlassten mich, mich intensiver mit dem Thema weibliche Genitalverstümmelung zu beschäftigen, was schließlich zu meiner Tätigkeit als Referentin bei TERRE DES FEMMES führte, die ich seit März ausübe.
Frage 2: Warum werden Frauen beschnitten?
Es gibt nicht die eine Erklärung für die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung. In verschiedenen Gesellschaften, Religionen und Wertesystemen existieren unterschiedliche Begründungsmuster, die sich zudem im Laufe der Zeit wandeln können.
Grundsätzlich geht es bei der weiblichen Genitalverstümmelung oft um die Kontrolle der weiblichen Sexualität. Beispielsweise wird sie durchgeführt, um die Jungfräulichkeit zu bewahren oder eheliche Treue zu gewährleisten. Andererseits entscheiden sich Eltern für diesen Eingriff, weil er die Heiratschancen ihrer Töchter verbessern kann. In vielen Gesellschaften hängt die sozioökonomische Absicherung einer Frau noch immer von der Ehe ab, und eine volle soziale Anerkennung wird oft nur durch die Beschneidung erreicht.
Es existieren auch medizinische Mythen – ich betone hier das Wort “Mythen”, da diese Behauptungen längst widerlegt sind. Dennoch findet man noch Begründungen wie: Die Klitoris würde weiterwachsen, wenn man sie nicht beschneidet, oder ein unbeschnittenes weibliches Genital sei unhygienisch oder unrein. Dies ist natürlich nicht der Fall.
Viele sehen die weibliche Genitalverstümmelung auch als religiöse Pflicht an. Hierzu ist anzumerken, dass diese Praxis bereits vor der Entstehung monotheistischer Religionen existierte und keine Religion sie explizit vorschreibt. Es gibt sogar viele religiöse Autoritäten, die sich vehement dagegen aussprechen. Dennoch betrachten Angehörige verschiedener Religionen, nicht nur des Islam, sondern auch des Christentums sowie anderer Religionen, die weibliche Genitalverstümmelung als religiöse Pflicht.
In manchen Kulturen markiert die weibliche Genitalverstümmelung den Übergang vom Mädchen zur Frau und fungiert als eine Art Initiationsritus.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich oft einfach um eine soziale Norm handelt. Die Praxis wird seit Generationen durchgeführt und daher nicht hinterfragt. Eine Infragestellung käme der Anzweiflung der Lebensweise aller vorangegangenen Generationen gleich. Eltern wollen, dass ihre Töchter dazugehören und vollen sozialen Anschluss finden. Aus dieser Motivation heraus entscheiden sie sich für die Beschneidung, ohne böswillige Absicht.
Es ist wichtig zu beachten, dass es sich zwar um eine Menschenrechtsverletzung handelt, aber für die Betroffenen oft den Normalfall darstellt. Dies ist besonders im Umgang mit Betroffenen zu berücksichtigen.
Frage 3: Was bedeutet das für betroffene Frauen?
Die weibliche Genitalverstümmelung hat keinerlei gesundheitliche Vorteile für Mädchen und Frauen – und sie kann auch per se nicht rückgängig gemacht werden.
Bezogen auf den körperlichen Aspekt gibt es inzwischen die Möglichkeit die Klitoris und auch die Vulva zu rekonstruieren, sowohl äußerlich als auch mit Blick auf die Empfindsamkeit (sogenannte Rekonstruktions-Operationen). Dennoch können Formen dieser Praktik schwerwiegende physische, psychische und soziale Auswirkungen haben.
Man kann die Folgen dabei in verschiedene Kategorien unterteilen: körperliche Folgen, psychische Folgen, Folgen für die Sexualität sowie soziale Folgen. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass nicht alle Betroffenen unter allen möglichen Folgeproblemen leiden. Die Auswirkungen sind sehr individuell und hängen von unterschiedlichen Faktoren ab – wie der Art des Eingriffs, dem Typ der Verstümmelung, den verwendeten Instrumenten, den Bedingungen während des Eingriffs sowie dem individuellen Zustand der Betroffenen.
Wenn wir uns die körperlichen Folgen ansehen, gibt es zunächst die akuten Komplikationen. Dazu gehören starke Blutungen und extreme Schmerzen durch die Durchtrennung des empfindlichen Genitalgewebes, oft ohne Betäubung. Hinzu kommen Verletzungen wie Frakturen an Schlüsselbein oder Oberarm, die durch das gewaltsame Festhalten der Betroffenen während des Eingriffs entstehen können. Infektionen sind ebenfalls häufig, da die Eingriffe oft unter unsterilen Bedingungen und mit unsauberen Instrumenten durchgeführt werden. Dies kann zu Blutvergiftungen führen oder zu Verletzungen benachbarter Gewebe wie der Harnröhre oder des Darms.
Langfristig können weitere körperliche Beschwerden auftreten. Dazu gehören Probleme beim Wasserlassen – etwa Schmerzen oder ein unvollständiger Harnabfluss –, Inkontinenz, chronische Entzündungen im Genitalbereich sowie Harnwegsinfektionen. Auch Menstruationsbeschwerden sind häufig: Die Menstruation kann schmerzhaft oder unregelmäßig werden. Zudem erhöht sich das Risiko von HIV-Infektionen durch die Verwendung unsteriler Instrumente oder durch Blutungen beim Geschlechtsverkehr. Im schlimmsten Fall kann der Eingriff sogar tödlich enden – sei es durch Infektionen oder massiven Blutverlust.
Neben den körperlichen gibt es auch schwerwiegende psychische Folgen. Viele Betroffene erleiden Traumata durch den Eingriff selbst, oft begleitet von Todesangst. Besonders belastend ist es, wenn enge Familienangehörige – manchmal sogar die eigene Mutter – den Eingriff unterstützen oder ermöglichen. Dies kann zu langfristigen Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen führen. Auch Partnerschaftskonflikte sind eine häufige Folge.
Das Thema Sexualität ist ebenfalls komplex. Es ist ein Mythos, dass beschnittene Frauen grundsätzlich kein erfülltes Sexualleben haben können. Die Auswirkungen auf die Sexualität sind sehr unterschiedlich: Einige Frauen empfinden beim Geschlechtsverkehr starke Schmerzen oder weniger Lust, während andere ein zufriedenstellendes Sexualleben führen können. Dennoch können chronische Entzündungen, eine verminderte sexuelle Empfindsamkeit oder Traumata eine Rolle spielen und das sexuelle Verlangen sowie das Lustempfinden beeinträchtigen.
Ein weiterer Aspekt sind die sozialen Folgen. Manche Betroffene leiden unter psychischen Problemen, die dazu führen können, dass sie in der Schule fehlen oder sich nicht konzentrieren können. Dies beeinträchtigt ihren Bildungsweg und später auch ihre beruflichen Chancen. Dadurch wird ihre gesellschaftliche Teilhabe eingeschränkt, was wiederum ihre Unabhängigkeit und Selbstbestimmung gefährdet.
Auch Partnerschaftskonflikte sind häufig – sei es durch körperliche Beschwerden oder psychische Belastungen –, was in manchen Fällen zu Scheidungen führt. In bestimmten Regionen bedeutet eine Scheidung jedoch nicht nur den Verlust des Partners, sondern auch den sozialen Ausschluss und damit völlige Perspektivlosigkeit. Besonders perfide ist dabei der Kreislauf: Oft wird die Beschneidung durchgeführt, um die Heiratschancen zu erhöhen – doch die daraus resultierenden Probleme können genau das Gegenteil bewirken und letztlich sogar zur Scheidung führen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Auswirkungen der weiblichen Genitalverstümmelung sind vielfältig und individuell unterschiedlich. Nicht alle Betroffenen leiden unter allen genannten Folgen – aber jede Form dieser Praktik birgt schwerwiegende Risiken für Körper, Psyche, Sexualität und soziale Teilhabe.
Frage 4: Wie viele Frauen sind betroffen und in welchen Ländern kommt FGM am häufigsten vor?
Aktuell sind nach den neuesten Schätzungen von UNICEF weltweit etwa 230 Millionen Mädchen und Frauen von weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) betroffen, und rund 4,1 Millionen gelten als akut gefährdet. Die höchsten Prävalenzraten finden sich in Ländern wie Somalia, Guinea, Dschibuti, Mali und Ägypten, wo der Anteil der betroffenen Frauen und Mädchen im Alter von 15 bis 49 Jahren teils über 80 % liegt. In Somalia beispielsweise liegt die Prävalenzrate bei über 99 %, was bedeutet, dass nahezu alle Frauen und Mädchen in dieser Altersgruppe betroffen sind.
Auch Länder wie Sudan und Sierra Leone weisen Prävalenzraten von über 80 % auf. Durch Migration leben jedoch mittlerweile Betroffene und gefährdete Mädchen und Frauen weltweit, auch in Ländern, in denen FGM traditionell nicht verbreitet war.
Frage 5: Ist Weibliche Genitalverstümmelung ein Thema in Deutschland?
Ja, weibliche Genitalverstümmelung ist in der Tat ein Thema in Deutschland. Wie ich bereits kurz erwähnt hatte, leben durch Migration inzwischen überall Betroffene und Gefährdete, auch hier in Deutschland. Aktuell geht man davon aus, dass in Europa insgesamt mindestens 600.000 Betroffene und etwa 190.000 Gefährdete leben. In Deutschland schätzen wir circa 100.000 betroffene Mädchen und Frauen und circa 20.000 gefährdete Mädchen. Diese Zahlen stammen allerdings von vor zwei Jahren. Wir werden in diesem Jahr eine neue Dunkelzifferschätzung herausgeben, um die Zahlen neu zu berechnen. Es handelt sich, wie gesagt, um Schätzungen, da es keine genauen Statistiken gibt. Damit bildet man natürlich das Dunkelfeld ab, und es lässt sich so ungefähr einschätzen, inwiefern das Thema auch hier in Deutschland inzwischen eine Rolle spielt. Es sind vermutlich sehr viele Frauen betroffen, und damit ist es natürlich längst auch in Deutschland angekommen.
Frage 6: Wie ist die rechtliche Situation in Deutschland?
Die weibliche Genitalverstümmelung ist seit 2013 ein eigener Straftatbestand. Wenn man zunächst das Strafrecht betrachtet, ist sie als eine Form der schweren Körperverletzung unter Strafe gestellt und kann mit bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. Sie wird als Verbrechen gewertet und nicht nur als bloßes Vergehen. Das bedeutet, dass auch jede Form der Beteiligung und Unterstützung (auch durch Unterlassen) strafbar ist. Ebenso sind der Versuch sowie der Versuch der Beteiligung und Unterstützung auch durch Unterlassen strafbar.
Seit 2015 ist die weibliche Genitalverstümmelung auch als Auslandsstraftat strafbar. Der Straftatbestand ist in § 226a StGB geregelt, und die Auslandsstrafbarkeit wird in § 5 Absatz 9a Buchstabe b StGB unter Strafe gestellt. Das bedeutet, dass ein Mädchen oder eine Frau, die im Ausland beschnitten wurde, aber ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, oder wenn der Täter die deutsche Staatsbürgerschaft oder seine Lebensgrundlage in Deutschland hat, die Tat strafrechtlich verfolgt werden kann.
Oft sind natürlich auch noch weitere Straftatbestände relevant, beispielsweise wenn es zum Tod kommt. Darüber hinaus ist die weibliche Genitalverstümmelung auch eine Verletzung der Fürsorgepflicht nach § 171 StGB. Wichtig ist auch, dass bei der Strafbarkeit nach § 226a StGB die zehnjährige Verjährungsfrist erst mit der Vollendung des 30. Lebensjahres der Betroffenen beginnt. Das heißt, wir haben eine weitreichende Strafbarkeit im deutschen Strafrecht. Auch wenn man Themen wie die Einwilligung betrachtet, ist diese nach § 228 StGB weitestgehend ausgeschlossen.
Es ist natürlich so, dass auch noch weitere rechtliche Grundlagen eine Rolle spielen. Zum Beispiel ist weibliche Genitalverstümmelung oder drohende weibliche Genitalverstümmelung eine Kindeswohlgefährdung, das heißt, das SGB VIII spielt hier eine Rolle. Wenn nämlich Anhaltspunkte vorliegen, dass eine weibliche Genitalverstümmelung geplant ist oder bevorsteht, müssen alle Fachkräfte der Jugendhilfe und der Schulen Maßnahmen treffen, die einen Schutz des Mädchens sicherstellen. Auch gibt es in diesem Fall die Befreiung von der Schweigepflicht für medizinisches Personal.
Darüber hinaus können auch noch anderweitige gerichtliche Maßnahmen bei Kindeswohlgefährdung angeordnet werden, zum Beispiel teilweise Ersetzung der elterlichen Sorge und Übertragung auf das Jugendamt, aber auch zum Beispiel die Entziehung des Passes der Eltern, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass eine Beschneidung im Ausland geplant ist.
Weibliche Genitalverstümmelung spielt auch noch eine Rolle im Zusammenhang mit Asyl. Es ist eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte und eine an das Geschlecht anknüpfende Verfolgungshandlung, das heißt, eine drohende weibliche Genitalverstümmelung und auch eine drohende erneute Beschneidung können ein Grund für Asyl sein.
Insgesamt hat man damit eine ganz umfassende rechtliche Regelung hier in Deutschland. Es ist aber trotzdem so, wenn man sich noch einmal das Strafrecht anschaut, dass die tatsächlichen Anzeigen wirklich immer im niedrigen einstelligen Bereich liegen – ich glaube im Bundeslagebild zur geschlechtsspezifischen Gewalt von 2023 gab es keine Anzeige in dem Bereich. Das heißt, die Strafanzeigen liegen hier im ganz, ganz niedrigen einstelligen Bereich. Dementsprechend auch die Aburteilungen. Daran zeigt sich die Komplexität der Praxis. Es ist eine Tat, über die selten gesprochen wird und die noch seltener angezeigt wird, weil eben enge Familienangehörige teilweise an der Entscheidung beteiligt sind, ein Mädchen beschneiden zu lassen. Und die Betroffenen sind dann eben Kinder. Das macht natürlich auch eine Nachverfolgung wirklich sehr, sehr schwer, weil es einfach ein mit Tabu belastetes, internalisiertes Thema ist, das heißt, darüber wird nicht gesprochen, und das wiederum behindert natürlich auch die strafrechtliche Verfolgung.
Frage 7: Männliche Vorhautbeschneidungen werden im Krankenhaus vorgenommen. Kann man das mit FGM vergleichen?
Ja, es ist tatsächlich so, dass die sogenannte männliche Beschneidung häufiger im Krankenhaus oder im medizinischen Umfeld stattfindet und auch durch medizinisches Fachpersonal durchgeführt wird, aber nicht ausschließlich. Es ist wichtig zu erwähnen, dass es auch sogenannte männliche Beschneidungen im nicht-medizinischen Umfeld unter unsterilen Bedingungen gibt. Auch dort kommt es zu Todesfällen. Es gab vor einigen Jahren aufsehenerregende Fälle, zum Beispiel in Südafrika, als Teil einer rituellen Beschneidung.
Andererseits findet auch die weibliche Genitalverstümmelung teilweise im medizinischen Umfeld statt und wird durch medizinisches Fachpersonal durchgeführt, vor allem im südostasiatischen Raum, wie beispielsweise in Indonesien. Weibliche Genitalverstümmelung wird in den letzten Jahrzehnten zunehmend auch im medizinischen Kontext durchgeführt. Man nennt das die sogenannte Medikalisierung. Trotz Medikalisierung und medizinischem Umfeld ist die Praxis aber nicht zu rechtfertigen.
Hier kommt der Unterschied: Weibliche Genitalverstümmelung und männliche Beschneidung sind zwei Praktiken, die ich nicht vergleichen möchte. Ich lehne auch die männliche Beschneidung ab. Auch TDF positioniert sich öffentlich gegen die männliche Beschneidung. Dennoch ist es wichtig zu wissen, dass die weibliche Genitalverstümmelung in engem Zusammenhang mit der Kontrolle der weiblichen Sexualität steht. Es handelt sich um eine Form der geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen. Diese Art der geschlechtsspezifischen Gewalt gibt es in diesem strukturellen Ausmaß nicht gegenüber Männern. Das ist ein wichtiger Unterschied, den es zu betonen gilt.
Nichtsdestotrotz lehne ich die sogenannte männliche Beschneidung ebenfalls ab und möchte auch von einem Vergleich absehen. Ich finde es nicht gut, diese beiden Praktiken miteinander zu vergleichen oder die eine gegenüber der anderen aufzuwiegen.
Frage 8: Welche Aktionen organisiert TERRE DES FEMMES zum Thema Genitalverstümmelung?
Weibliche Genitalverstümmelung ist ein Thema, das uns schon seit Gründung der Organisation beschäftigt. Seit Mitte der 90er Jahre gibt es auch ein hauptamtliches Referat dazu. In unserem Referat leisten wir vor allem Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit. Das bedeutet, ich führe beispielsweise Schulungen für Fachkräfte aus dem medizinischen, juristischen und sozialen Bereich zu diesem Thema durch. Ich informiere, spreche darüber und versuche zu sensibilisieren. Andererseits betreiben wir politische Lobbyarbeit, indem wir politische Forderungen auf nationaler und europäischer Ebene zum Thema weibliche Genitalverstümmelung vorbereiten und Lobbygespräche führen. Darüber hinaus erheben wir Daten.
In regelmäßigen Abständen veröffentlichen wir die sogenannte Dunkelzifferschätzung. Diese Schätzung erfasst die Zahl der betroffenen und gefährdeten Frauen und Mädchen von weiblicher Genitalverstümmelung in Deutschland. Wir halten Fachvorträge, nehmen an Podiumsdiskussionen teil und betreiben sonstige Öffentlichkeitsarbeit.
Zusätzlich haben wir ein ausgelagertes EU-Projekt namens “Join our CHAIN”. Dieses Projekt beschäftigt sich mit den Themen Früh- und Zwangsverheiratung sowie weibliche Genitalverstümmelung. In diesem Rahmen arbeiten wir mit Personen aus der Diaspora-Community zusammen und betreiben gemeinsam Aufklärungsarbeit zu den Themen Früh- und Zwangsverheiratung sowie weibliche Genitalverstümmelung in den jeweiligen Diaspora-Communities. Gleichzeitig verschaffen wir AktivistInnen aus der Diaspora eine Stimme auf europäischer politischer Ebene, indem wir beispielsweise Lobbygespräche mit PolitikerInnen führen.
Das Join Our CHAIN-Projekt lief zunächst zwei Jahre und wird jetzt fortgesetzt. Es findet aktuell europaübergreifend mit drei anderen Ländern bzw. Organisationen statt und geht 2025 in vergrößerter Form in die nächste Runde.
Frage 9: An wen können sich Betroffene wenden?
Es ist so, dass die Versorgungslage mit Beratungsstellen, aber auch sonstigen Ansprechpartnerinnen sehr unterschiedlich in den jeweiligen Bundesländern ist. In Berlin gibt es zum Beispiel die Berliner Koordinierungsstelle, die vermittelt, je nachdem, was für ein Anliegen man mit der Thematik hat – ob es um rechtliche Fragen geht, um Asylrecht oder eben um medizinische Versorgung, psychologische Versorgung, was auch immer man braucht.
TERRE DES FEMMES veröffentlicht auch immer eine Liste an AnsprechpartnerInnen. Diese wurde gerade erst im Februar 2025 in aktualisierter Form nochmal veröffentlicht. Es handelt sich dabei um eine Liste, die alle AnsprechpartnerInnen im medizinischen, juristischen oder sozialen Bereich in den unterschiedlichen Bundesländern aufzeigt.
Ich würde Betroffenen immer raten, einfach mal durch kurze Recherche in diese Liste zu schauen oder sonstige Internetrecherche zu betreiben, um zu sehen, was es hier in der Umgebung gibt. Es gibt inzwischen einige kleinere und größere Organisationen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Auch allgemeine Anlaufstellen wie Pro Familia sind immer ein guter erster Kontaktpunkt. Von dort ausgehend kann man nach speziellen Beratungsstellen suchen.
Vielen Dank für das spannende Gespräch. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihren zukünftigen Projekten und eine breite Resonanz!